Was ist eigentlich eine Selbsthilfegruppe im Blauen Kreuz?
Was ist Selbsthilfe?
Selbsthilfe bedeutet, dass primär keine wechselseitige Fremdhilfe, sondern wechselseitige Selbsthilfe stattfindet. Das bedeutet: Es hilft hier nicht der eine dem anderen und der wieder ihm. Vielmehr hilft hier jeder sich selbst und hilft dadurch dem anderen, sich selbst zu helfen. Der hilfsbedürftige Mensch wartet nicht mehr darauf, dass andere ihn aus dem Schlamassel ziehen. Er tut es selbst. Jeder bestimmt die Schritte und das Tempo seines Genesungsprozesses selbst. Leitlinien des Lernens für den einzelnen sind keine klugen Ratschläge oder Weisheiten, sondern allein seine ganz individuellen Erfahrungen. Sich selbst zu entdecken, sich selbst zu verstehen, zu sich selbst ehrlich zu sein, mit sich selbst aufbauend umgehen zu können; dies sind zentrale Ziele der Selbsthilfe. Was der suchtkranke Mensch tut, das tut er für sich selbst, nicht für jemand anderen, auch nicht für die Gruppe.
Wie läuft eine Blaukreuz-Gruppenstunde ab?
Eine Gruppenstunde beginnt in der Regel mit einer Begrüßung der Teilnehmer und ggf. der Einführung neuer Besucher. In vielen Blaukreuzgruppen wird mit einem Gebet gestartet und/oder abgeschlossen. Anschließend gibt es regelmäßig ein sogenanntes „Blitzlicht“. Jeder Besucher kann dabei kurz über seine momentane Gefühlslage berichten. Niemand muss etwas sagen. Im weiteren Verlauf definiert die Gruppe selbst die Gesprächsthemen oder der Gruppenleiter gibt Anstöße, wenn die Gruppe Motivation braucht. Grundsätzlich legt der Gruppenleiter die Reihenfolge der Erzähler fest, normalerweise in der Abfolge der Meldungen. Jeder darf ausreden. Niemand wird von der Gruppe bewertet. Nach Möglichkeit wird immer in der Ich-Form und über sich selbst erzählt.
Wie funktioniert eine Selbsthilfegruppe? (Haiko Schlink)
Die Selbsthilfegruppe ist eine emotionale Heimat. Menschen brauchen für ihr seelisches Überleben einen Ort, an dem sie ihre Gefühle zeigen, an dem sie sie anbinden können und an dem jemand zu ihnen sagt: „Prima, dass du da bist, gut, dass du Gefühle hast, deine Gefühle sind vollkommen in Ordnung, willkommen bei den Menschen.“ Diese Erfahrung macht ein Mensch normalerweise in der Kindheit, bei Mama und Papa. Bei vielen Menschen fand jedoch diese Erfahrung in Ermangelung einer Geborgenheit vermittelnden Heimat nicht oder nur Bruchstückhaft statt. Eine Hilfe für solche Menschen ist das Zur-Verfügung-stellen dieses Ortes (in Form der Selbsthilfegruppe) als emotionale Heimat. Die Selbsthilfegruppe ist somit in emotionaler Hinsicht Mama und Papa für Erwachsene. Diesen Ort brauchen jene Menschen für ihre seelische Weiterentwicklung. Wenn in der Gruppe ein von Respekt, Toleranz, Echtheit und Wärme getragenes Klima herrscht, dann können wichtige neue emotionale Erfahrungen gemacht und bestehende Lebensstrategien korrigiert werden. Die Gruppe hebt zudem Vereinsamung auf. Es werden Informationen zur Abhängigkeitserkrankung und deren Überwindung ausgetauscht, ein mitmenschlicher Umgang erlernt und Hoffnung geteilt. Durch das Treffen anderer Suchtkranker lassen Scham- und Schuldgefühle nach. Eine Selbsthilfegruppe ist im Grunde eine „Erzählgemeinschaft“. Das Geheimnis liegt nicht im Diskutieren, Argumentieren und Überzeugen, sondern im gegenseitigen Erzählen, was einem beschäftigt: Ich erzähle von mir, du erzählst von dir, und jeder nimmt sich daraus, was er brauchen kann. Hilfreich sind unter anderem das entlastende Aussprechen von Gefühlen, Problemen und Leid, das Erleben mitfühlender Reaktionen, das Aufbrechen verdrängter Gefühle durch das Vorbild anderer oder die Konfrontation mit eigenen unangemessenen Verhaltensweisen und Ansprüchen durch die Rückmeldung anderer.