Brücken bauen - Junge Suchtkranke in der Selbsthilfe
Sucht kennt keine Altersgrenzen. In allen Altersgruppen nach der Kindheit ist süchtiges Verhalten und Suchtmittelabhängigkeit festzustellen. Dabei sind die Zahlen alarmierend. So gab es im Jahr 2000 beispielsweise in Deutschland rund 880.000 alkohol-, drogen- und medikamentenabhängige Menschen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren (Kraus & Augstein, 2001). Krankenhäuser, Fachkliniken und Beratungsstellen richten sich mit Spezialsprechstunden und maßgeschneiderten Konzepten zunehmend auf die jünger werdende Klientel ein.
Doch was geschieht im Anschluss an die professionelle Therapie? Älteren Betroffenen steht unter anderem ein breites Netz an Selbsthilfegruppen zur Verfügung. In diesen Gruppen, in denen die Suchtkranken auf andere Suchtkranke treffen, wird qualitativ hochwertige und in der Gesellschaft anerkannte Arbeit geleistet. Dadurch gelingt es den Suchtkranken, sich längerfristig zu stabilisieren und zu lernen, ein sinnerfülltes Leben ohne Drogen zu führen. In diesen „traditionellen“ Selbsthilfegruppen findet man allerdings kaum Suchtkranke, die jünger als 35 Jahre sind. Nur vereinzelt „verirrt“ sich ein junger Erwachsener in eine Gesprächsgruppe und noch seltener wird er dort auf längere Sicht heimisch.
Es gibt also eine große Zahl junger Menschen mit Suchtproblemen, aber nur ein verschwindend geringer Teil nutzt die bestehenden Angebote der Selbsthilfe. Dieser offensichtliche Widerspruch verlangt nach einer Erklärung. Wie kommt es, dass sich junge Menschen nicht hilfesuchend an Selbsthilfegruppen wenden, während diese bei älteren Suchtkranken einen wesentlichen Beitrag zum Weg aus der Sucht leisten? Wie könnte es gelingen, die Kluft zwischen den jungen Menschen und der Selbsthilfe zu überbrücken?
Die fünf großen Sucht-Selbsthilfeverbände in Deutschland - das Blaue Kreuz in Deutschland e.V., das Blaue Kreuz in der Evangelischen Kirche e.V., die Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe – Bundesverband e.V., die Guttempler in Deutschland e.V. und der Kreuzbund e.V. – haben in einem gemeinsamen Projekt versucht, diese Fragen zu beantworten und Handlungsstrategien zu entwickeln, wie attraktive Selbsthilfeangebote für junge Suchtkranke und Suchtgefährdete geschaffen werden können.
Das Projekt mit dem Titel „Brücken bauen – Junge Suchtkranke und Selbsthilfe“ ist über drei Jahre (2003-2006) vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert worden, und nun liegen die Ergebnisse vor. In diesem Handbuch werden die praxisrelevanten, anwendbaren Erkenntnisse und Ideen aus dem Projekt zusammengetragen, so dass Interessierte, die ein Angebot für junge Suchtkranke oder Suchtgefährdete aufbauen möchten, Information und Anregung erhalten.
Das Handbuch gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil wird die Ausgangssituation junger Suchtkranker in Deutschland geschildert, und es werden mögliche Gründe diskutiert, warum junge Suchtkranke und Selbsthilfe nicht zueinander finden (Kap. 2).
Der zweite Teil beinhaltet Überlegungen, auf welche Weise die Verbände und deren Mitarbeiter 1 umdenken und sich verändern müssen, wenn sie mehr junge Menschen für ihre Arbeit begeistern möchten (Kap. 3). Es folgt eine kurze Beschreibung des Projekts (Kap. 4).
Der dritte Teil bildet das Kernstück des Handbuchs. Darin werden die wesentlichen Ergebnisse aus dem Projekt vorgestellt. Zunächst wird in Kapitel 5 geschildert, welche Erwartungen junge Suchtkranke an Selbsthilfearbeit haben, wie sie selbst sich die Hilfe wünschen und inwiefern sich diese Bedürfnisse von denen älterer Besucher traditioneller Selbsthilfegruppen unterscheiden. Dabei wurde in den Projektarbeitsgruppen deutlich, dass die Zielgruppe der jungen Suchtkranken ganz neue Anforderungen an die Mitarbeiter stellt. Folglich wurde eine Fortbildungsreihe für ehrenamtliche Mitarbeiter entwickelt, deren Lehrplan (Curriculum) speziell auf die Zielgruppe der jungen Suchtkranken zugeschnitten ist (Kap. 6). Die Workshopreihe wurde im Jahr 2005 in verschiedenen Regionen Deutschlands mit insgesamt rund 80 freiwilligen Mitarbeiter/-innen durchgeführt. Die Teilnehmer/-innen erwarben darin einerseits grundlegendes Handwerkszeug für die Arbeit mit jungen Menschen, andererseits entwickelten sie sehr konkrete Ideen, wie man vorgehen kann, um ein spezifisches Selbsthilfeangebot für junge Suchtkranke und Suchtgefährdete zu initiieren (Kap. 7). Einige der Pläne wurden von den Teilnehmer/-innen bereits parallel zu den Workshops in ihren Heimatorten umgesetzt. Um die Vielfalt der Möglichkeiten zu demonstrieren werden in Kapitel 8 ausgewählte Beispiele vorgestellt.
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