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Darstellung und Aufgaben von Selbsthilfegruppen

Darstellung und Aufgaben von Selbsthilfegruppen

1. Ehemaligentreffen der Suchtberatungsstelle Bad Salzungen am 05.09.2002

 
Begrüßung:
Welchen schöneren Anlaß gibt es, als bei einem Ehemaligentreffen eingeladen zu sein? Für einige ein jahrelanger Kampf, für manch einen eine komplette Umstellung des eigenen Lebens – aber auch des Umfeldes.Spott und Hohn, Unverständnis, sogar von engsten Familienangehörigen, aber auch Schulterklopfen, Anerkennung, Freude und auch berechtigter Stolz auf die eigene Leistung kennzeichnen die vergangenen Jahre.

Wir wollen an diesem Tag auch an alle denken, die noch gegen ihre Sucht ringen, oder diese noch nicht erkannt haben, oder aber schon endgültig verloren haben.

Thema Selbsthilfegruppen:
Um den Weg der Abstinenz nicht alleine gehen zu müssen, gibt es in allen Regionen Deutschlands und in vielen Ländern der Erde die verschiedensten Selbsthilfegruppen. Warnungen vor den Folgen der Trunksucht sind zwar bis in die Antike zurückzuverfolgen, doch die Alkoholabhängigkeit als Krankheitsbild tauchte erst Ende des 18. Jahrhunderts auf. In Deutschland liegen die Anfänge einer organisierten, gegen Alkohol gerichteten Bewegung mit nennenswertem Einfluß in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts .1837 wurden erste Enthaltsamkeitsvereine gegründet und fanden im Revolutionsjahr 1848 schon ihr vorläufiges Ende. Erst 1883 wurde in Kassel der „Deutsche Verein gegen Missbrauch geistiger Getränke“ gegründet. Die Frauen und Männer, die 1885 das „Blaue Kreuz“ gründeten, erkannten wie 1896 auf der katholischen Seite die Gründer des „Kreuzbundes“, dass nur die völlige Enthaltsamkeit zur Befreiung von der Sucht führen kann. Die „Guttempler“ nahmen 1889 ihre Arbeit auf .

Im Jahre 1912 hatten sich bereits 20.000 abstinent lebende Menschen organisiert. Bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein wurden in erster Linie die Folgen und Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs bekämpft. Es war Fremdhilfe.
Erst durch ein Urteil des Bundessozialgerichtes im Jahre 1968 ist Alkoholismus als Krankheit anerkannt. Bis heute ist ein System der Suchtkrankenhilfe entstanden, das auf drei Säulen ruht: Beratung, Therapie und Nachsorge. Während der Selbsthilfegedanke bei den „Anonymen Alkoholikern von Beginn an eine entscheidende Rolle spielte, nahm sie bei anderen Abstinenzverbänden erst Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mehr Platz ein.

Aber was ist Selbsthilfe?
Entgegen der Fremdhilfe beabsichtigt die Selbsthilfe, den Alkoholkranken wieder zu einem Menschen werden zu lassen, der sich selbst annimmt, der selbst an seiner Krankheit arbeitet, der selbst für seine Genesung verantwortlich ist, der selbst mit seinem Leben zurechtkommt. Alles das ist aber ein weiter, schwerer und unbequemer Weg. Warum soll man diesen Weg alleine gehen? Es gibt Hilfe zur Selbsthilfe!

Neben BK, Kreuzbund, Freundeskreisen und Guttemplern als gemeinnützigen Vereinen gibt es Gruppen der Arbeiterwohlfahrt, des DRK, AA, im Bereich von Suchtberatungsstellen und andere. Ziel aller Selbsthilfegruppen ist die dauerhafte Abstinenz.
Gemeinsame Erfahrungen in der Trinkphase, soziale Schwierigkeiten, Partnerschaftsprobleme und andere aus der Suchtproblematik hervorgehende Komplikationen verbinden und lassen einander verstehen. Persönliche Beziehungen und Freundschaften geben den notwendigen Halt und helfen, eine zuverlässige Lebensorientierung zu finden.

Eine fortwährende Neubesinnung auf Werte, die das Leben wieder lebenswert machen, findet man im persönlichen Gespräch oder in der Gruppe.Das Selbsthilfeprinzip prägt jede Selbsthilfegruppe:
Jeder hilft sich selbst und hilft damit dem Anderen, sich selbst zu helfen. Die Gruppe nimmt dem Betroffenen nichts ab – aber sie unterstützt, hört zu (ganz wichtig), gibt Erfahrungen weiter und vieles mehr. Eines Tages werden auch Deine Erfahrungen und Dein Wissen benötigt. Voraussetzungen zum langfristigen Funktionieren einer Gruppe:

  • alle Gruppenmitglieder sind gleichgestellt
  • jedes Gruppenmitglied bestimmt über sich selbst
  • jedes Gruppenmitglied geht um seiner selbst willen zur Gruppe
  • Gespräche in der Gruppe bleiben in der Gruppe
  • es gibt keine Einmischung in Gruppenprozesse durch professionelle oder hauptamtliche Helfer
  • die Teilnahme ist kostenlos
  • regelmäßige Treffen an einem festen Ort

Erfolgreiche Selbsthilfegruppen achten auf:

  • Bereitschaft der Mitglieder zu Offenheit und Ehrlichkeit
  • Toleranz und Akzeptanz der Gruppenmitglieder untereinander
  • gutes Lob für Förderung des Selbstbewusstseins
  • gute Raumatmosphäre
  • die Förderung des WIR-Gefühls
  • Themenarbeit – kein Kaffeekränzchen aber
  • gemeinsame Freizeitaktivitäten

Eine Selbsthilfegruppe stellt für den Einzelnen ein Übungsfeld für das Leben außerhalb der Gruppe dar. Nicht wenige Frauen und Männer, die ihr Leben ohne Suchtmittel zu bewältigen lernten, entdecken ihre Freude und ihre Fähigkeit, sich für andere Suchtkranke zu engagieren –auch außerhalb der Gruppe. Ein erwünschter Nebeneffekt ist, dass auch der Helfer durch seine Arbeit wächst. Nicht zu unterschätzen ist der unbürokratische, niederschwellige Erstkontakt von ausstiegswilligen Suchtkranken oder deren Angehörigen.

Ein für mich immer wieder wichtiges Thema sind die Partner, Kinder, Eltern, Freunde oder Bekannten der Suchtkranken. In der Trinkphase wussten sie nicht richtig mit uns umzugehen und sehr viele wissen es auch in der „Trockenphase“ nicht. Unsicherheit und unberechtigte Angst vor Fehlern machen neue Angst.

Wer hindert uns daran, auch die uns nahestehenden Menschen mit in die Gruppe einzuladen? Verdient haben sie es sich allemal. Die Krankheit des Einzelnen wird in den meisten Fällen zu einer Krankheit des gesamten Umfeldes. Nun stehe ich heute nicht hier um mich zu präsentieren oder die Zeit
zu füllen. In den inzwischen 12 Jahren Abstinenz habe ich erfahren, wie schnell man vergisst, wie selbstsicher und gefährlich selbstverständlich man trocken leben kann.

Um immer wieder daran erinnert zu werden, wo ich einmal war und um keinen Leichtsinn aufkommen zu lassen, auch um anderen zu helfen, - dass ist für mich die Motivation zum regelmäßigen Besuch der Selbsthilfegruppe. Es gibt viele ausgestreckte helfende Hände – man muß sie nur ergreifen.

Zum Abschluss ein paar Worte zum Nachdenken:
Ich habe keine Angst vor dem Morgen, denn ich habe das Gestern begriffen,und ich liebe das heute.
William Allen White

Bad Salzungen im August 2002
Reinhard Fleischmann

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