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Prävention der harten Art: Häftlinge der JVA Brandenburg

Von Marion Kaufmann (MAZ vom 11./12. Mai 2013)

BRANDENBURG/HAVEL: Sie sitzen aus den verschiedensten Gründen. Versuchter Mord, Totschlag, Körperverletzung, Raub, Dieb-stahl. Die Gemeinsamkeit: Sie standen während der Tat unter Drogen.

„Rund 70 Prozent aller Straftaten werden unter Suchtmitteleinfluss begangen", sagt Jürgen Schönnagel, ehrenamtlicher Leiter der Wohngruppe „Suchtfrei leben" in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel. Die „Knacki-WG", die der Babelsberger vor 19 Jahren ins Leben gerufen hat, ist einmalig in Deutschland: 19 Häftlinge leben getrennt vom normalen Strafvollzug auf einem separaten Flur der JVA zusammen. Die Zellentüren innerhalb der WG, die von Ehrenamtlern der christlichen Suchtkrankenhüfe „Blaues Kreuz" betrieben wird, sind tagsüber offen. Die Häftlinge kochen und reden zusammen und sollen so lernen, nach der Entlassung ein sucht- und straffreies Leben zu führen. Nun startet die besondere WG ein ungewöhnliches Projekt: Die Gefangenen wollen Schüler mit einer DVD über Drogenmissbrauch aufklären.

„Das Verharmlosen ist das Verfluchte ", sagt Schönnagel. Was Jugendlichen über Drogen erzählt werde, sei noch viel zu niedlich, um tatsächlich jemanden vom Konsum abzuhalten. Der gebürtige Rathenower war selbst abhängiger Alkoholiker. „Meinen ersten Vollrausch hatte ich mit 14", sagt der heute 68-jährige gläubige Baptist.

Dreieinhalb Jahre lang hat er zudem eingesessen, von 1964 bis 1968 als politischer Häftling in Brandenburg/Havel, Potsdam und Schwarze Pumpe. Er kennt den Knast, den Drang zur Flasche. Schönnagel führt keine Statistik darüber, wie viele Gefangene nach der Entlassung aus der Wohngruppe, in die sie nur freiwillig auf- genommen werden, trocken und straffrei blieben. „Die meisten", sagt er nur. Jugendliche nicht in den Teufelskreis aus Rausch und Gewalt geraten zu lassen ist Anliegen des Films, den die WG erstellt hat und der nun in Brandenburger Schulen zum Einsatz kommen soll. Bildungsstaatssekretär Burkhard Jungkamp hat die Schirmherrschaft übernommen. Moderator Günther Jauch und Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) unterstützen das Projekt.

Je früher wir eingreifen, umso eher können wir schwere Suchtprobleme verhindern", meint Johannes Lindenmeyer, Direktor der auf Suchtprobleme spezialisierten Salus-Klinik in Lindow (Ostprignitz-Ruppin). Ausgerechnet Häftlinge zur Prävention einzusetzen, findet er einen mutigen, aber vielversprechenden Ansatz. So könne Jugendlichen deutlich gemacht werden, wie tief man durch den Konsum von Drogen sinken kann. „Alkohol enthemmt, führt zu Selbstüberschätzung", erläutert er. Und schließlich böten Drogen auch eine Art Alibi vor sich selbst und anderen nach dem Motto: Nüchtern hätte ich das nie getan.
Der Film ist eine Art Schocktherapie, denn das, was die jungen Männer - nur als dunkle Schatten zu erkennen - in die Kamera erzählen, sind Lebensbeichten der besonderen Art. Hart und ungeschönt beschreiben sie ihren Ab-stieg. Die Interviews hat der 29-jährige Berliner Patric Klatte geführt. „Es hat gedauert, Vertrauen aufzubauen", sagt er, doch dann hätten die Insassen offen er-zählt. „Das geht schon an die Nieren", sagt er.

Die Gruppe „Licht" - eine christliche Rockband aus Berlin - liefert den Soundtrack zum Anti-Sucht- Projekt. Schüler des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder in Potsdam spielen die Eingangsszenen jeder Filmsequenz nach. Was die Häftlinge erzählen, sei „ echt krass", sagt Schüler Gero Koßmann. Wie es anfängt mit Drogen, das könne man sich noch vorstellen, „aber dass es dann so ausartet", sagt der 17-Jährige, „das hat man so noch nie gesehen."

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